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Déi Saach mam Respekt, déi Saach mam Haass

Es ist Wahlkampf, nun auch offiziell. Plakate werden aufgerichtet und geklebt, die Kandidaten und Militanten der Parteien sind unterwegs, um ihr Material in Stellung zu bringen. Und gleich in der ersten Nacht wurde in Dresden der SPD-Spitzenkandidat Matthias Ecke von irgendwelchen jungen Brutalos krankenhausreif geschlagen – während er dabei war, Plakate für die Europawahl aufzuhängen. Näher bei uns wurden wohl einen Tag später Plakate der Grünen von ihren Trägern gerissen.

Die meisten Parteien, die am luxemburgischen Europawahlkampf teilnehmen, haben sich zu einem fairen und respektvollen Umgang miteinander verpflichtet. Das schliesst selbstverständlich die Achtung vor den Wahlkampfmaterialien ein und Gewalt und Zerstörung aus. Aber wie steht es mit der Haltung „im Volk“? Was bedeutet in bestimmten Teilen der Bevölkerung „Respekt vor dem politischen Gegner“?

Die Attacke in Dresden bleibt vielleicht ein Einzelfall. Doch sie passiert ja nicht zufällig, losgelöst von kollektiven Dynamiken, die nicht nur in Sachsen oder Deutschland zu beobachten sind. Wir sind aktuell Zeugen einer Verrohung der gesellschaftlichen Umgangsformen, die eigentlich niemanden unberührt lassen kann, dem Demokratie und demokratische Auseinandersetzung noch etwas bedeutet. Das hat eben nichts mehr mit der von extrem Rechten ständig beschworenen „Meinungsfreiheit“ zu tun, die in Gefahr wäre. Tatsächlich in Gefahr ist die Sicherheit, ohne massive Attacken und verbale Gewalt, an der demokratischen Auseinandersetzung teilnehmen zu können.

Wie oft habe ich selbst, hat meine Partei in den letzten Tagen und Wochen in den Kommentarspalten lesen müssen, wir hätten überhaupt kein Recht, an Wahlen teilzunehmen, wären das Letzte, Parasiten, Verräter? Wieviel von diesen Abartigkeiten haben die grünen Kolleginnen und Kollegen ertragen müssen und müssen sie noch ertragen? Und wieso wird derartiges geschrieben? Was bringt anonyme „Nolauschterer“ dazu, regelmässig ihren gesamten Hass mitteilen zu müssen, egal gegen wen oder gegen was? Wieso haben Teile der Gesellschaft das Bedürfnis, ständig verbal um sich zu schlagen, üblicherweise unter Fantasienamen?

Jeder wählt schliesslich, wie er will. Menschen wie ich und Parteien wie meine stehen zu diesem Recht. Wer uns nicht wählen will, soll es sein lassen, aber er muss es nicht hundert Mal vor der Wahl in irgendeinem Forum in wackliger Rechtschreibung herausbrüllen. Ob man wirklich „Foren“ für Kommentare braucht, die sich auf einen wut-und hasserfüllten Satz voller Fehler beschränken, ist eine Frage, die sich durchaus stellt. Diese Foren sind eine Blase geworden, in der Wutbürger sich gegenseitig hochschaukeln können und dafür Daumen-Hoch-Applaus ernten. Bis sie irgendwann nicht mehr nur schreiben, sondern zuschlagen.

Wie lange wollen wir noch akzeptieren, dass anonyme Hater sich an politisch engagierten Menschen vergreifen, unter dem Vorwand der Meinungsfreiheit Drohungen, Boshaftigkeiten, Ehrabschneidungen ausstossen können, und wissen, dass sie dabei völlig unbehelligt bleiben? Was Matthias Ecke in Dresden passiert ist, stellt ja nur den letzen Steigerungsgrad der Verrohung dar. Vorher artikuliert diese sich – oft über lange Zeit – in schriftlich formuliertem Hass, dessen Verbreitung niemand einzudämmen wagt.

Dieser Hass, dieses Bedürfnis, jeden zum Schweigen zu bringen, der eine bestimmte Lebenseinstellung nicht teilt, macht die Demokratie kaputt. Es wird sich über kurz oder lang kaum noch ein anständiger Mensch demokratisch engagieren wollen, wenn er dafür riskiert, zuerst verbal und dann physisch zusammengeschlagen zu werden. Und dann regieren die Schläger.

Dazu darf es nicht kommen. Vor hundert Jahren wurden aus den Krakeelern und Hatern gewalttätige Schlägertrupps, die das Volk einschüchterten, politischen Anstand und Normalität niederprügelten und schliesslich eine Schreckensherrschaft errichteten, wie sie die Menschheit noch nicht gesehen hatte.  Es gab noch keine Nutzerforen als Zwischenstation: aus dem persönlichen Hass und der eigenen Wut wurde öffentliches, kollektives, brutales Zuschlagen. Das darf sich nicht wiederholen.

Die Polizei und die Justiz sind definitiv dazu aufgefordert, endlich einzuschreiten und dem Hasswahn entgegenzutreten. Man wird die Einstellung vieler Wutbürger nicht ändern – aber die Verbreitung ihres Schmutzes kann man sehr wohl unterbinden. Dabei würde schon helfen, dass in Foren nur noch Menschen zugelassen sind, die unter verifiziertem Klarnamen operieren. Wenn ich glaube, jemandem dringend etwas mitteilen zu müssen, dann kann ich das sehr wohl unter meinem echten Namen tun. Darüber hinaus muss gelten: was in direkter Anrede strafbar wäre, muss es auch im Internet sein. Dazu gehört, dass die Autoren ausfindig gemacht und bestraft werden, wenn sie Dinge von sich geben, die nicht nur subjektiv, sondern auch nach dem Strafrecht inakzeptabel sind. Und wenn jemand tatsächlich zuschlägt, weil ihm ein Plakat, ein Kandidat oder eine Partei zuwider ist, muss er wissen, dass er dies länger bereuen wird, als sein politisches Hassobjekt im Amt ist.

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