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Was Russlands Allianz mit Nordkorea bedeutet

Ich habe bereits des öfteren Russland als einen Staat beschrieben, der sich aus der zivilisierten Welt verabschiedet. Ein diktatorisch regiertes, obskurantistisches Staatswesen, das sich in seiner politischen Ausrichtung eher an Iwan dem Schrecklichen orientieren will, als an Peter dem Grossen. Ein Staat, der sich und seiner „Welt“ genügen will, in der Hoffnung, viele andere Länder würden sich an einer solchen Politik der Abwendung von zivilisatorischen Normen der modernen Zeit inspirieren wollen, sich ebenfalls zurückziehen aus der globalen Wirklichkeit. Doch gibt es im 21. Jahrhundert keine vollständige Autarkie mehr. Jeder Staat braucht Dinge, die er nicht selbst besitzt oder herstellen kann. Deshalb unterhalten auch die abgeschottetsten Staaten internationale Beziehungen – zu ihrem eigenen tatsächlichen oder vermeintlichen Vorteil.

Russland und Nordkorea haben dieser Tage den Eintritt in eine so genannte strategische Partnerschaft pompös zelebriert. Für Nordkorea bedeutet dies die erfolgreiche Rückkehr zur Vorgensweise von Grossvater Kim (Il-Sung) im Kalten Krieg. Der erste Kim wollte nie von nur einem wichtigen Partner abhängig sein, ständig jonglierte er zwischen China – ohne das er den Korea-Krieg nicht überstanden hätte – und der Sowjetunion, die als Zeremonienmeister der kommunistischen Staatengemeinschaft ihren Alliierten Wohltaten zukommen lassen konnte, zu denen schlicht niemand sonst fähig war. In den Augen vom Kim Jong Un ist es logisch, sinnvoll und für ihn selbst und sein Ansehen in seinem Land sehr hilfreich, dass er durch rigorose Unterstützung für Russland im Krieg seinen grossen Nachbarn dazu bewegen konnte, sich Nordkorea endlich wieder freundschaftlich zuzuwenden. Er wird sich von der Partnerschaft mit Russland vieles erhoffen, darunter auch von ihm durchaus benötigte Unterstützung in seinem atomaren Ausrüstungswahn. Die hat er nämlich von China, das Nordkorea eher erdultet als liebt, nie bekommen.

Nordkorea braucht nicht zu verstecken, dass es sich diese Rückkehr zu einer „alten Normalität“ gewünscht hat, in der Russland – oder eben früher die Sowjetunion – alle möglichen Formen der Unterstützung anbietet, und man sich im selben politischen Lager wähnt. Nordkorea hat sein politisches Regime nach dem Fall des Weltkommunismus nie geändert. Es ist eine kollektivierte Diktatur geblieben, die in ihrem Funktionieren eher einer absoluten Monarchie ähnelt. Das hat Anfang der 1970er Jahre bereits Nicolae Ceausescu dazu inspiriert, sich ebenfalls als abgehobenen und angebeteten Führer in Szene zu setzen. Vladimir Putin gefällt es sicherlich ebenso, dass dem Chef ununterbrochen und ohne jeden Widerspruch gehuldigt wird. Und genau das, zusammen mit dem Ukrainekrieg und seinen eigentlichen Beweggründen, beweist, dass Russland wieder östliches Zarenreich sein will, und nicht Teil der zivilisierten, modernen Staatengemeinschaft. Putin hat sich mit seiner Nordkorea-Allianz definitiv vom Erbe von Zar Peter abgewandt.

Peter der Grosse baute seine neue Hauptstadt nicht am Pazifik, sondern an der Ostsee. Er wollte ein europäischer Herrscher sein, er wollte über ein europäisches Reich herrschen. Sankt-Petersburg – wo Vladimir Putin lustigerweise herkommt – wurde errichtet, um Russland in Europa zu verankern. Nun reisst ein Sankt Petersburger diese Verankerung aus der Erde. Sie wird nicht wieder hergestellt werden.

Russland hatte seit Jahrzehnten die Möglichkeit, Peters Europaverankerung zu seinem eigenen Vorteil zu vertiefen und zu institutionalisieren. Von Gorbatschows Idee des „Gemeinsamen Hauses Europa“ bis zu Putins Rede im Deutschen Bundestag 2001 bestand durchaus die Option, dass Russland ein europäischer Staat würde sein wollen – mit allen zivilisatorischen und kulturellen Merkmalen, die es dafür braucht. Ein Staat muss nicht mit seinem gesamten Territorium in Europa liegen, um europäisch zu funktionieren. Das gilt im übrigen auch für die Türkei. Er muss die europäische Werteordnung, ein Mass an gesellschaftlicher Offenheit und den Respekt vor der individuellen menschlichen Würde so praktizieren und schützen, wie es vom Europarat vorausgesetzt wird. Das ist in Russland nicht mehr so. Es wird auch nicht mehr so sein.

Es gab eine Zeit, in der die Verbindungen Russlands zu Europa sich vertieften und verstetigten. Um bei der Symbolik der Partnerschaft zu bleiben: Russland könnte heute eine tiefe und bedeutsame Partnerschaft mit Finnland zelebrieren, anstatt mit Nordkorea. Das wäre zivilisatorisch wie geografisch die genau umgekehrte Ausrichtung. Die Allegro-Schnellzüge, die von 2010 bis zum Beginn des Ukrainekrieges zwischen Helsinki und Sankt Petersburg verkehrten, mit Grenzkontrollen, die effizient an Bord stattfanden, deuteten während einigen Jahren an, dass Russland tatsächlich an einer dauerhaften Zusammenarbeit im Nordwesten interessiert war. Das hätte mit Finnland vertieft und so auch im Dreieck mit Estland ermöglicht werden können. Russland besaß immer die Wahl zwischen westlich orientierter Normalität – sogar mit einer etwas „organsierteren“ Ausprägung seiner politischen Demokratie – und dem Rückfall in den ostwärts gewandten Brutalismus der zaristischen Expansionszeit.

Es hat sich nun dafür entschieden, die Brücken nach Europa zu sprengen. Nach der nun formalisierten Allianz mit Nordkorea gibt es für Russland kein Zurück nach Europa mehr. Der Krieg in der Ukraine hat dies bereits ausreichend belegt. Die Nordkorea-Allianz wird auch von diesem Krieg konditioniert – weil Russland billige Waffen in grossed Mengen braucht, die außer Nordkorea kaum ein Land liefern kann oder will. Der Krieg selbst ist ein anachronistischer, zaristischer Krieg im Stil Iwans des Schrecklichen und seiner Nachfolger. Er dient keinerlei objektivem Zweck, außer der „Sammlung russischer Erde“, was ein verklärter Begriff für Eroberungskriege ist, mit denen das Volk patriotisch bei der Stange gehalten wird. Russland braucht weder die Ukraine, noch Kiew, um eine moderne Großmacht sein zu können, aber es braucht nordkoreanische Waffen, um in der Ukraine Großmacht zu spielen.

Ein sinnloser, menschenverachtender Krieg, und die Allianz mit einem menschenverachtenden Großmannsregime – sie passen nicht nur zusammen. Sie sind gemeinsam Ausdruck von Russlands Unfähigkeit, jemals ein normaler Staat in normalen internationalen Beziehungen zu sein. Die russische Führung will nicht, dass Russland etwas Normales ist, und die russischen Menschen lassen sich willig dazu antreiben, keine gewöhnliche Nation zu sein. Auch wenn dies bedeutet, dass man definitiv und unumkehrbar aus der Zivilisation herausfällt.

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